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LITPROM: Beste Bücher „When Fish Get Thirsty“

Litprom empfehlt für eine Übersetzung ins deutsche

„When Fish Get Thirsty“ Helim Yusiv

SYRIEN/DEUTSCHLAND

Roman. Mira Publishing House 2016

WELTEMPFÄNGER 36 / HERBST 2017

Helim Yusiv gilt als einer der renommiertesten kurdischen Romanciers. In seinen auf Kurdisch geschriebenen Werken gelingt es ihm, die Atmosphäre der Angst in dem Viereck zwischen Syrien, der Türkei, dem Irak und Iran, greifbar zu machen. Leseproben auf Deutsch und Englisch bei Litprom.

Helîm Yûsiv spricht über kurdische Literatur

Interview von Urtzi Urrutikoetxea

  1. Wie ist überall die Situation der Kurdischen Literatur in 2010?

Wir müssen von Anfang an sagen, dass zur Kurdischen Literatur die Situation in Kurdistan, das zwischen vier Staaten aufgeteilt worden ist, gehört. Außerdem gibt es viele Kurden im Exil. Die kurdische Literatur ist heutzutage zwischen diesen vier Ländern und dem Exil, das heißt zwischen fünf Grenzen und auch zwischen zwei unterschiedlichen Alphabeten und mindestens zwei Hauptdialekten aufgeteilt.

2-Kann man über eine eigene kurdische Literatur sprechen, mit ihren Eigenart, z.B. bezogen auf der Situation der kurdischen Volk? Welche sind diese Eigenarten?

Es ist eine Literatur, die in einer verbotener Sprache geschrieben worden ist.

Die Kurdische Literatur beschäftigt sich stark mit dem Leiden den Kurden, als Volk ohne eigenen Staat, ohne Rechte, ohne amtliche Sprache und ohne Anerkennung.

Die kurdischen Schriftsteller kämpfen für ihre Literatur und für ihre Sprache, so wie die, die Widerstand leisten, wie Guerillakämpfer in den Bergen, die für die Freiheit und Anerkennung der Kurden kämpfen..

Kurdische Schriftsteller gehören zu den wenigen Schriftstellern in der Welt, die in einer Sprache schreiben, die sie nicht in der Schule gelernt haben, bzw. die sogar verboten ist.

Kurdische Literatur ist eine Literatur für “dickköpfige” Schriftsteller. Die  Regimes der vier Staaten haben immer versucht, unsere Sprache zu vernichten, aber die Kurden haben immer für diese Sprache gekämpft. Durch die kurdische Literatur konnte die kurdische Sprache überleben und sich entwickeln.

3- Für uns, Basken, gab es eine lange Diskussion darüber was baskische Literatur ist, heutzutage ist es akzeptiert, dass es nur ist Literatur geschrieben auf Baskisch. So, Schriftsteller wie Unamuno, Pio Baroja und viele andere, die Basken waren aber auf Spanisch oder französisch schrieben, gehören nicht zur baskischen Literatur. Ist es auch so bei Ihnen? Wie ist ihre Geisteshaltung? Yasar Kemal gehört zur kurdischen Literatur? Warum (oder warum nicht)?

Wenn es ums Kategorisieren geht, habe ich immer für kurdische Schriftsteller, die ihre Werke auf Arabisch, Türkisch oder Persisch geschrieben haben, einen dritten Ort vorgeschlagen.

Es ist klar, dass Kurdische Literatur die Literatur ist, die auf Kurdisch geschrieben wird.

Aber Kurdistan ist eine auf vier Ländern aufgeteilte Kolonie und die kurdische Sprache war immer verboten. Deswegen haben wir viele bekannte und wichtige Schriftsteller, die Kurden sind, aber in der Sprache der Besatzer des Landes schreiben, wie Yashar Kemal auf Türkisch, Selim Barakat auf Arabisch und Ashraf Darwishyan auf Persich.

4- Nach deiner Meinung, welche sind die begabtesten kurdischen Schrifsteller? Wer verdient die Nobel-Preis?

Wenn wir an folgende Punkte denken:

Der Status der Kurden im Allgemeinen.

Die heutige Situation Kurdistans mit dem Kolonialismus.

Die Nichtanerkennung der Kurden in der Welt.

Kein eigener Staat, keine eigene kulturelle Insultationen, keine Übersetzungen für kurdische Literatur…und es gibt noch viele andere Faktoren, die zusammen genommen für andere (die keine Kurden sind) die Kurdische Literatur zu einer uninteressanten Literatur machen.

Bis heute ist die moderne Kurdische Literatur nicht auf Englisch oder Französisch übersetzt worden. Wie kann man dann über den Nobel-Preis reden?

Ich möchte niemanden nennen, aber in den Bereichen der Romane, Erzählungen/Kurzgeschichten und Gedichte gibt es Schriftsteller, die meiner Meinung nach den Nobel-Preis hätten bekommen können, wenn Sie keine Kurden wären.

5- Welche sind die am meisten ausgebildeten Genre von Kurdischen Schriftstellern (Roman, Kurzgeschichte, Dichtkunst) während der Geschichte?

 Können Sie uns ein Paar wichtige Namen geben?

Gedichte: Die klasichen  kurdischen Literaturtexte, die wir bis heute lesen können, sind am meisten Gedichte. Die bekannesten kurdischen Dichter des 16. und 17. Jahrhundert sind (Feqiyê Teyran 1549- 1631)-(Melayê Cizîrî 1570-1640) und (Ehmedê Xanî 1651-1707), die auf “Kurmancî” geschrieben haben. Danach im 18. und 19. Jahrhundert gab es (Nali 1789-1855) – ( Haci Qadirê Koyî 1817-1897 ) die auf  “Soranî” geschrieben haben. Im 20.Jahrhundert auf “Soranî” Abdullah Goran (1904–1962)     (Hemin Mukriyanî 1920-1986)-(Hejar 1920-1990) und auf “Kurmancî” (Cegerxwîn 1903 – 1984) Außer ihnen gab es hunderte Namen weniger bekannter Dichter.

Romane: -Aus Nordkurdistan: (Erebê Shemo 1897-1978) hat zwischen 1930-1935 geschrieben und veröffentlicht. Sein erster Roman war “Der kurdische Hirte”. Dieser Roman war der erste kurdische Roman der Neuzeit. Er hat noch drei weitere Romane geschrieben,“Glückliches Leben” 1959 – “Dimdim” 1966 .- “Hopo” 1969 .

-Aus Südkurdistan: Ibrahîm Ehmed 1914 – 2000 und sein Roman “Leiden des Volkes”1956.

-Aus Ostkurdistan: Rehîmê Qazî und sein Roman “Pêşmerge”-1960.

Kurzgeschichten: Die Erste Kurzgeschichte wurde 1913 von Fuad Temo geschrieben.

6-Können wir über irgendeine “Goldene Zeit” der Kurdischen Literatur? Welche geschichtliche Moment?

Für die moderne kurdische Literatur ist die Zeitschrift “Hawar (Aufschrei) 1932-1943” von Celadet Alî Bedirxan, eine “Goldene Zeit”. Am 15.Mai 1932 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Hawar“ in lateinischer Schrift. „Hawar“ wurde bis zum 15.August 1943 herausgegeben.

Mit “Hawar” haben die Kurden mit ein neues Alphabet (Lateinisch) angefangen zu schreiben und die Generation von Hawar ist die Basis für die moderne kurdische Literatur.

Die Zeitschrift „Hawar“, gilt als Meilenstein der modernen kurdischen Literatur.

7-Was ist die Wichtigkeit von Mem u Zin für die kurdischen Literatur?

Mem und Zin ist der wichtigste kurdische literarische Text in der Geschichte der Kurdischen Literatur. Man kann Ehmedê Xanî mit den wichtigsten Namen in der Literaturgeschichte, wie William Shakespeare für die Engländer oder Hafes Shirazi für die Perser oder Ibin Arabi für die Araber vergleichen.

8- Gibt es andere Werke mit ähnlichen geschichtlicher Wichtigkeit? Dim Dim Schloss zum Beispiel? Noch andere Werke?

Die mündlich überlieferte Literatur ist bei den Kurden sehr reich und es gibt hunderte Geschichten und Märchen, die entweder noch gar nicht oder in unterschiedlichen Fassungen aufgeschrieben worden sind. Z.B, Zembîlfirosh „Korbverkäufer”, Siyamed und Xecê, Derwêshê Evdî und noch viele andere Erzählungen wurden von einer  Generation zur anderen mündlich weitergegeben.

9-Können sie erklären die Situation der kurdischen Sprache und Literatur in der Türkei? Und Iran? Syrien? Irak? Armenien/ehemalige Sowjetunion? Und außer Kurdistan (Europa, Amerika…)?

Man kann nicht diese Frage nicht mit einigen Sätzen beantworten, aber ich kann zusammenfassend die heutige Situation der kurdischen Literatur folgendermaßen beschreiben:

Von 1990 bis heute gibt es einen Umschwung der modernen Literatur bei den Kurden. In Nordkurdistan (kurdischer Teil der Türkei) von der Zeit Özals und nach 1992 konnten die Kurden Zeitschriften, Zeitungen, und Bücher auf Kurdisch veröffentlichen, obwohl die kurdischen Kinder ihre Sprache nicht in den Schulen lernen durften.

Auch in Südkurdistan (kurdischer Teil des Irak) nach dem Widerstand der Kurden von 1991 konnten die Kurden vom irakischen Regime befreit werden und sie haben heute ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Kurdische Literatur in Westkurdistan (Syrien) und in Nordkurdistan (Türkei) hat auf Kurmancî eine Wiederbelebung erfahren. Es entwickelte sich eine neue Generation der modernen und schönen Literatur. Gleichzeitig hat sich in Südkurdistan (Irak) und in Ostkurdistan (Iran) die kurdische Literatur auf „Soranî“ mit großen Schritten entwickelt. Auch die Kurden der ehemaligen Sowjetunion und Armeniens haben das kurdische–lateinische Alphabet benutzt.

10- Welche Rolle spielt das Exil für die literarische Entwicklung?

Weil die kurdische Sprache in Kurdistan verboten war, hat das Exil in der Geschichte der kurdischen Literatur eine große Rolle gespielt. Die erste kurdische Zeitung ist 1898 in Kairo in Ägypten erschienen. Der erste Roman von Erebê Shemo ist in Armenien 1935 erschienen. Die erste Kurzgeschichte ist 1913 in Istanbul erschienen. Die wichtigste Zeitschrift für die kurdische Sprache und Literatur “Hawar” ist 1932 in Damaskus erschienen. Es ist klar, dass alle wichtigen Entwicklungen in dem Bereich Literatur und Sprache außerhalb des kurdischen Gebiets, d.h. im Exil stattfanden. Das Exil ist die Mutter für die Kurdische Literatur.

11- Kurden schreiben auf verschieden Dialekten und auch Alphabet –arabisch und lateinisch- wie betrefft es die kurdische national Literatur?

Wir müssen unsere Realität akzeptieren. Wir haben bis heute keine eigene standardisierte nationale Sprache, wie Hochdeutsch zum Beispiel. Wir schreiben in verschiedenen Dialekten und mit zwei unterschiedlichen Alphabeten. Wir haben zurzeit keinen eigenen Staat, um das Problem lösen zu können.

12- Nach deiner Meinung, sollen die Kurden für eine Sprachenunion gehen, so dass sie eine Nationalliteratur erreichen, oder ist es besser die heutige Verschiedenheit, um einen größeren literarischen Reichtum zu haben? Was vorschlagen die kurdischen Intellektuellen?

Die Kurdischen Intellektuellen sind sich darüber nicht einig. Das ist für uns ein schwieriges Thema und jeder hat eine eigene Meinung. Ich denke dass unsere Nationalliteratur alle Werke umfasst, die in verschiedenen kurdischen Dialekten geschrieben worden sind. Wir kurdischen Schriftsteller können diese Realität nicht ändern. Es ist eine Frage der Macht. Im Grunde genommen kann man solche komplizierten Sprachprobleme ohne einen unabhängigen kurdischen Staat nicht lösen.

13- Die heutige Erfahrung in Südkurdistan mit der autonomischen Regierung, ist es positiv für die Kurdische Literatur allgemein? Denkst du, dass diese Regierung mehr tun kann/soll? Was noch?

Bedauerlicherweise ist die autonome Regierung mit ihren politischen und wirtschaftlichen Problemen beschäftigt und hat in diesem Bereich keine gute Politik durchgeführt. Sie versucht einen Dialekt “Soranî” als offizielle Sprache und ein Alphabet “Arabisches Alphabet” für Südkurdistan umzusetzen und die anderen Dialekte, wie den “Kurmancî”-Dialekt, der von der Mehrheit der Kurden gesprochen wird, zu verbieten.

Ich glaube, wir haben überall ein großes Problem mit der politischen Mentalität der kurdischen Politiker. Sie haben keine “literarischen” Projekte. Sie haben kein wirkliches Interesse an Literatur. In ihren Programmen gibt es keinen Platz für die Entwicklung der Literatur. Falls die Entwicklung der kurdischen Literatur doch einen Platz einnimt, dann lediglich im Interesse ihrer Partei, bzw. deren Angehöriger.

Von der Entwicklung der kurdischen Literatur in Südkurdistan, die es zweifellos gibt, haben leider nur sie selber profitiert und nicht die Literatur, bzw. die kurdischen Schriftsteller in den anderen Teilen Kurdistans.

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Aus dem persönlichen Archiv.

Dieses Interview wurde 2002 in Berlin für ein baskisches Kulturmagazin geführt

Helîm Yûsiv:„Das Kurdische soll eine stürmische Phase erleben“

Interview von Sonja Galler

zenith sprach mit dem Autor und Journalisten Helîm Yûsiv über die Spaltung der kurdischen Sprache, Bücherschmuggel nach Syrien und die Wahrnehmung kurdischer Literatur in Deutschland

Herr Yûsiv, obwohl für fast zehn Prozent der syrischen Bevölkerung Kurdisch die Muttersprache ist, sind Bücher in dieser Sprache in Syrien verboten.

Wie wurden Sie unter diesen Bedingungen Autor kurdischer Literatur?

Meine älteren Brüder hatten früher heimliche Kontakte zu verbotenen kurdischen Parteien und haben manchmal kurdische Bücher nach Hause gebracht. Diese Bücher waren sehr alt und von schlechter Druckqualität. Mich interessierten besonders die Werke von Cegerxwîn (1904 in der Türkei geborener kurdischer Dichter und Theologe). Das erste Buch, das ich auf Kurdisch gelesen habe, war sein Gedichtband Kîme ez („Wer bin ich?“). Aber das Lesen hat den Durst in meiner Seele verstärkt, nicht gestillt – bis ich das Schreiben entdeckt habe. Ich hatte die Gelegenheit, viele Bücher auf Arabisch und sehr wenige auf Kurdisch zu lesen, weshalb ich zuerst mehr auf Arabisch geschrieben habe.

Wo konnten Sie überhaupt Texte auf Kurdisch veröffentlichen?

Zum Beispiel in illegalen Zeitschriften. Ab 1992 war die kurdische Sprache in der Türkei nicht mehr verboten und meine Texte konnten dort in Wochenzeitungen oder beispielsweise beim Avesta-Verlag erscheinen.

Der kurdisch-türkische Autor Mehmed Uzun sagte einmal, er fiele ihm leichter, in anderen Sprachen zu schreiben. Dennoch habe er Kurdisch als Publikationssprache gewählt, um etwas für sein Land und seine Kultur zu tun. Wie ist Ihr Verhältnis zur kurdischen Sprache?

Ich habe solche Schwierigkeiten nicht. Kurdisch ist die Sprache, in der ich die ersten Lieder und die ersten Geschichten gehört habe. Es ist die Sprache, in der ich meine Gefühle, meine Träume und Gedanken am besten ausdrücken kann. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt reicht es aber nicht aus, nur auf Kurdisch zu schreiben. Es ist für uns eine große Herausforderung, bei den literarischen Texten auch den technischen, künstlerischen und ästhetischen Anspruch zu berücksichtigen. Ich sehe mich als kurdischer Schriftsteller ebenso wie die anderen in der Verantwortung für die Entwicklung unserer Sprache. Unsere Literatur hat wegen all der Verbote die Phasen der europäischen Literatur nicht durchgemacht. Sie soll ausgehend vom aktuellen Stand eine stürmische Phase durchleben.

In Syrien können kurdische Zeitschriften und Bücher nur illegal herausgegeben werden?

Ja, die Herausgabe kurdischsprachiger Publikationen wird als Aktivität gegen bestehende Gesetze gewertet und dementsprechend bestraft. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass kurdische Schriftsteller zeitweise einer stärkeren Unterdrückung ausgesetzt waren als politische Aktivisten. Wer in dieser Sprache schreibt, kann sich nicht selbst außerhalb des Kreises der Politik stellen, weil alle Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, die gleiche Quelle haben: die Kolonisierung und Zersplitterung unseres Landes, die Aufteilung der Kurden auf mehrere Staaten und nun die fehlende Anerkennung der Existenz des kurdischen Volkes.

Sie selbst haben Ihre Bücher vor allem im Libanon, in der Türkei und in Deutschland veröffentlicht. Werden Ihre Bücher trotzdem in Syrien gelesen?

Mein erstes Buch – „Der schwangere Mann“ – ist 1991 in Damaskus auf Arabisch erschienen. Doch danach habe ich keine weiteren Genehmigungen von der staatlichen Zensurbehörde erhalten. So habe ich meine Kurzgeschichten und Romane dann vor allem in der Türkei veröffentlicht. Von dem ersten Kurzgeschichtenband „Die Toten schlafen nicht“ wurden 1996 700 Exemplare nach Syrien geschmuggelt. 1999 habe ich von dem Roman „Sobarto“ viele Exemplare über den Libanon nach Syrien bringen lassen, aber der größte Teil wurde an der Grenze beschlagnahmt. Im Jahr 2000 bin ich nach Deutschland gekommen. Jetzt schicke ich immer einige Exemplare mit Freunden nach Syrien. Es ist nicht möglich, kurdische Bücher mit der Post nach Syrien zu schicken, da der Adressat mit Repressalien rechnen muss. Obwohl kurdische Bücher in Syrien verboten sind, gibt es doch recht viele Menschen, die sie lesen. Auch es sich dabei nicht um Tausende handelt, bin ich zufrieden.

Eine besondere Rolle scheinen surrealistische Schreibformen für Sie zu spielen, so auch in Ihrem neuen Roman Gava Ku Masî Tî Dibin  („Wenn die Fische durstig sind“) …

Ich mag keine Literatur, die so realistisch ist, als wäre sie ein Foto. Das Chaos und das, was wir Kurden erlebt haben, sind einer surrealistischen Form sehr nahe. 1923 wurde Kurdistan unter vier Staaten aufgeteilt. Zwischen dem Haus meiner Eltern in Amuda (Syrien) und dem Haus meines Onkels in Nusaybin (Türkei) liegen Minen, Natodraht, Visa, arabische Soldaten auf der einen und türkische Soldaten auf der anderen Seite der Grenze. Es ist wie ein Traum, der viele Elemente und Phantasien ohne Logik enthält.

 Können Sie sich vorstellen, wie es wäre, wenn die Besetzung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg bis heute angedauert hätte und sogar die deutsche Sprache verboten wäre?

 Es würde keine standardisierte deutsche Hochsprache geben. Heutzutage erlebt Kurdistan eine Situation wie die, die Sie sich eben vorgestellt haben. Wenn eine Sprache verboten und das Land geteilt ist, sind auch die Seele, die Kultur und alles andere gespalten.

Das jahrzehntelange Verbot der kurdischen Sprache hat Spuren hinterlassen. Für viele Kurden ist die eigene Muttersprache eine zugleich nahe und fremde Sprache: Sie sprechen sie zu Hause und mit ihren Freunden, können aber oftmals nicht Kurdisch schreiben oder lesen.

 Wie würden Sie das Verhältnis der Kurden zu ihrer Sprache beschreiben, und gibt es da Unterschiede zwischen den verschiedenen Regionen?

Sowohl die Türkei als auch Syrien verfolgen gegenüber Kurden die gleiche Assimilationspolitik: Die eine Seite will aus Kurden Araber und die andere will aus Kurden Türken machen. Beide Staaten wollen die kurdische Sprache vernichten. Allerdings ist die Türkei dabei gewaltsamer vorgegangen als Syrien, da hier die Angst vor einer Abspaltung sehr groß ist. Der größte Teil Kurdistans liegt auf dem Territorium der Türkei und die Mehrheit der Kurden lebt dort. Viele Kurden in der Türkei sprechen ihre Sprache aus Angst nicht in der Öffentlichkeit. In Syrien gehen die Kurden selbstbewusster mit ihrer Sprache um. Das bedeutet aber nicht, dass das Kurdische dort nicht bedroht ist.

Gibt es einen Austausch zwischen kurdischen Autoren aus unterschiedlichen Ländern?

Die Kurden sind nicht nur geographisch geteilt worden, sondern auch in Sprache und Kultur. So gibt es mehrere Hauptdialekte, wie Kurmanci und Sorani, die sich so stark voneinander unterscheiden, dass eine Verständigung nicht möglich ist. Außerdem wird Kurdisch sowohl mit dem lateinischen als auch mit dem arabischen Alphabet geschrieben. Die kurdischen Schriftsteller kommen daher über die Ländergrenzen kaum zusammen.

2008 war die Türkei das Gastland auf der Frankfurter Buchmesse. Wie empfanden Sie die dortige Darstellung kurdischer Literatur?

Die Türkei ist unter dem Motto von „allen Farben“ aufgetreten, aber in Wirklichkeit ist sie nur mit einer Farbe nach Frankfurt gekommen. Kein auf Kurdisch schreibender Schriftsteller ist eingeladen worden. Unter den 150 vertretenen Verlagen aus der Türkei gab es nur einen kurdischen und einen armenischen Verlag, die als Aushängeschild dienen sollten. Während alle türkischen Beiträge auf Deutsch übersetzt wurden, hat niemand die Rede des kurdischen Verlegers Lal Laleş (Lis Verlag, Diyarbakir) übersetzt. Die Situation der kurdischen Sprache war auf der Buchmesse so wie in einem türkischen Gericht: Sie wurde wie eine unverständliche Sprache behandelt.

Woran liegt es, dass Werke kurdischer Autoren kaum in andere Sprachen übersetzt werden?

Die Kurden haben keinen eigenen Staat oder Institutionen, die Literaturübersetzungen fördern würden. Und die kurdischen Verlage können Übersetzungen nicht finanzieren. Europäische Institutionen wiederum wollen ihre Beziehungen zur Türkei nicht gefährden. Daher ist die kurdische Literatur, von einigen Ausnahmen abgesehen, beispielsweise unter Deutschen weitgehend unbekannt, da bisher kaum etwas übersetzt worden ist.

Wie wirkt sich das Leben im deutschen Exil auf Ihr Schreiben und Ihre Themenwahl aus?

Schreiben ist das Ergebnis meiner verbrannten Seele, es ist die Stimme der Tiefen und der Farben der verborgenen Gefühle. Die Orte, an denen ich lebe, spielen dabei keine zentrale Rolle. Doch beeinflussen die Erfahrungen, die ich in den acht Jahren meines Aufenthalts in Deutschland gemacht habe, meine literarischen Themen. Meine letzten beiden Romane enden in Deutschland. Ich hatte nicht geplant, Deutschland zu thematisieren, aber es ergab sich aufgrund meines Lebens hier. Das nächste Buch werden Kurzgeschichten über kurdische Flüchtlinge und ihre komisch-tragischen Geschichten in Deutschland sein.

Kurden in Syrien

Insgesamt sind beinahe 10 Prozent der syrischen Bevölkerung Kurden. Sie haben keine Aussicht auf muttersprachlichen Unterricht; Kurdisch bei der Arbeit und selbst das Singen kurdischer Lieder ist in der Öffentlichkeit verboten. Eine Publikationstätigkeit auf Kurdisch ist unter legalen Bedingungen nicht möglich.

Rund 200.000 Kurden sind bis heute staatenlos, seit Syrien sie im Zuge seiner Panarabisierungsbestrebungen 1962 ausbürgerte. Sie können kein Land erwerben und sind von staatlichen Berufen sowie sozialen Zuwendungen weitgehend ausgeschlossen. Sie können sich an keiner Wahl beteiligen und sind in ihrer Mobilität extrem eingeschränkt.

zenith, 20.01.2009