Helîm Yûsiv spricht über kurdische Literatur
Interview von Urtzi Urrutikoetxea
- Wie ist überall die Situation der Kurdischen Literatur in 2010?
Wir müssen von Anfang an sagen, dass zur Kurdischen Literatur die Situation in Kurdistan, das zwischen vier Staaten aufgeteilt worden ist, gehört. Außerdem gibt es viele Kurden im Exil. Die kurdische Literatur ist heutzutage zwischen diesen vier Ländern und dem Exil, das heißt zwischen fünf Grenzen und auch zwischen zwei unterschiedlichen Alphabeten und mindestens zwei Hauptdialekten aufgeteilt.
2-Kann man über eine eigene kurdische Literatur sprechen, mit ihren Eigenart, z.B. bezogen auf der Situation der kurdischen Volk? Welche sind diese Eigenarten?
Es ist eine Literatur, die in einer verbotener Sprache geschrieben worden ist.
Die Kurdische Literatur beschäftigt sich stark mit dem Leiden den Kurden, als Volk ohne eigenen Staat, ohne Rechte, ohne amtliche Sprache und ohne Anerkennung.
Die kurdischen Schriftsteller kämpfen für ihre Literatur und für ihre Sprache, so wie die, die Widerstand leisten, wie Guerillakämpfer in den Bergen, die für die Freiheit und Anerkennung der Kurden kämpfen..
Kurdische Schriftsteller gehören zu den wenigen Schriftstellern in der Welt, die in einer Sprache schreiben, die sie nicht in der Schule gelernt haben, bzw. die sogar verboten ist.
Kurdische Literatur ist eine Literatur für “dickköpfige” Schriftsteller. Die Regimes der vier Staaten haben immer versucht, unsere Sprache zu vernichten, aber die Kurden haben immer für diese Sprache gekämpft. Durch die kurdische Literatur konnte die kurdische Sprache überleben und sich entwickeln.
3- Für uns, Basken, gab es eine lange Diskussion darüber was baskische Literatur ist, heutzutage ist es akzeptiert, dass es nur ist Literatur geschrieben auf Baskisch. So, Schriftsteller wie Unamuno, Pio Baroja und viele andere, die Basken waren aber auf Spanisch oder französisch schrieben, gehören nicht zur baskischen Literatur. Ist es auch so bei Ihnen? Wie ist ihre Geisteshaltung? Yasar Kemal gehört zur kurdischen Literatur? Warum (oder warum nicht)?
Wenn es ums Kategorisieren geht, habe ich immer für kurdische Schriftsteller, die ihre Werke auf Arabisch, Türkisch oder Persisch geschrieben haben, einen dritten Ort vorgeschlagen.
Es ist klar, dass Kurdische Literatur die Literatur ist, die auf Kurdisch geschrieben wird.
Aber Kurdistan ist eine auf vier Ländern aufgeteilte Kolonie und die kurdische Sprache war immer verboten. Deswegen haben wir viele bekannte und wichtige Schriftsteller, die Kurden sind, aber in der Sprache der Besatzer des Landes schreiben, wie Yashar Kemal auf Türkisch, Selim Barakat auf Arabisch und Ashraf Darwishyan auf Persich.
4- Nach deiner Meinung, welche sind die begabtesten kurdischen Schrifsteller? Wer verdient die Nobel-Preis?
Wenn wir an folgende Punkte denken:
Der Status der Kurden im Allgemeinen.
Die heutige Situation Kurdistans mit dem Kolonialismus.
Die Nichtanerkennung der Kurden in der Welt.
Kein eigener Staat, keine eigene kulturelle Insultationen, keine Übersetzungen für kurdische Literatur…und es gibt noch viele andere Faktoren, die zusammen genommen für andere (die keine Kurden sind) die Kurdische Literatur zu einer uninteressanten Literatur machen.
Bis heute ist die moderne Kurdische Literatur nicht auf Englisch oder Französisch übersetzt worden. Wie kann man dann über den Nobel-Preis reden?
Ich möchte niemanden nennen, aber in den Bereichen der Romane, Erzählungen/Kurzgeschichten und Gedichte gibt es Schriftsteller, die meiner Meinung nach den Nobel-Preis hätten bekommen können, wenn Sie keine Kurden wären.
5- Welche sind die am meisten ausgebildeten Genre von Kurdischen Schriftstellern (Roman, Kurzgeschichte, Dichtkunst) während der Geschichte?
Können Sie uns ein Paar wichtige Namen geben?
Gedichte: Die klasichen kurdischen Literaturtexte, die wir bis heute lesen können, sind am meisten Gedichte. Die bekannesten kurdischen Dichter des 16. und 17. Jahrhundert sind (Feqiyê Teyran 1549- 1631)-(Melayê Cizîrî 1570-1640) und (Ehmedê Xanî 1651-1707), die auf “Kurmancî” geschrieben haben. Danach im 18. und 19. Jahrhundert gab es (Nali 1789-1855) – ( Haci Qadirê Koyî 1817-1897 ) die auf “Soranî” geschrieben haben. Im 20.Jahrhundert auf “Soranî” Abdullah Goran (1904–1962) (Hemin Mukriyanî 1920-1986)-(Hejar 1920-1990) und auf “Kurmancî” (Cegerxwîn 1903 – 1984) Außer ihnen gab es hunderte Namen weniger bekannter Dichter.
Romane: -Aus Nordkurdistan: (Erebê Shemo 1897-1978) hat zwischen 1930-1935 geschrieben und veröffentlicht. Sein erster Roman war “Der kurdische Hirte”. Dieser Roman war der erste kurdische Roman der Neuzeit. Er hat noch drei weitere Romane geschrieben,“Glückliches Leben” 1959 – “Dimdim” 1966 .- “Hopo” 1969 .
-Aus Südkurdistan: Ibrahîm Ehmed 1914 – 2000 und sein Roman “Leiden des Volkes”1956.
-Aus Ostkurdistan: Rehîmê Qazî und sein Roman “Pêşmerge”-1960.
Kurzgeschichten: Die Erste Kurzgeschichte wurde 1913 von Fuad Temo geschrieben.
6-Können wir über irgendeine “Goldene Zeit” der Kurdischen Literatur? Welche geschichtliche Moment?
Für die moderne kurdische Literatur ist die Zeitschrift “Hawar (Aufschrei) 1932-1943” von Celadet Alî Bedirxan, eine “Goldene Zeit”. Am 15.Mai 1932 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift „Hawar“ in lateinischer Schrift. „Hawar“ wurde bis zum 15.August 1943 herausgegeben.
Mit “Hawar” haben die Kurden mit ein neues Alphabet (Lateinisch) angefangen zu schreiben und die Generation von Hawar ist die Basis für die moderne kurdische Literatur.
Die Zeitschrift „Hawar“, gilt als Meilenstein der modernen kurdischen Literatur.
7-Was ist die Wichtigkeit von Mem u Zin für die kurdischen Literatur?
Mem und Zin ist der wichtigste kurdische literarische Text in der Geschichte der Kurdischen Literatur. Man kann Ehmedê Xanî mit den wichtigsten Namen in der Literaturgeschichte, wie William Shakespeare für die Engländer oder Hafes Shirazi für die Perser oder Ibin Arabi für die Araber vergleichen.
8- Gibt es andere Werke mit ähnlichen geschichtlicher Wichtigkeit? Dim Dim Schloss zum Beispiel? Noch andere Werke?
Die mündlich überlieferte Literatur ist bei den Kurden sehr reich und es gibt hunderte Geschichten und Märchen, die entweder noch gar nicht oder in unterschiedlichen Fassungen aufgeschrieben worden sind. Z.B, Zembîlfirosh „Korbverkäufer”, Siyamed und Xecê, Derwêshê Evdî und noch viele andere Erzählungen wurden von einer Generation zur anderen mündlich weitergegeben.
9-Können sie erklären die Situation der kurdischen Sprache und Literatur in der Türkei? Und Iran? Syrien? Irak? Armenien/ehemalige Sowjetunion? Und außer Kurdistan (Europa, Amerika…)?
Man kann nicht diese Frage nicht mit einigen Sätzen beantworten, aber ich kann zusammenfassend die heutige Situation der kurdischen Literatur folgendermaßen beschreiben:
Von 1990 bis heute gibt es einen Umschwung der modernen Literatur bei den Kurden. In Nordkurdistan (kurdischer Teil der Türkei) von der Zeit Özals und nach 1992 konnten die Kurden Zeitschriften, Zeitungen, und Bücher auf Kurdisch veröffentlichen, obwohl die kurdischen Kinder ihre Sprache nicht in den Schulen lernen durften.
Auch in Südkurdistan (kurdischer Teil des Irak) nach dem Widerstand der Kurden von 1991 konnten die Kurden vom irakischen Regime befreit werden und sie haben heute ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Kurdische Literatur in Westkurdistan (Syrien) und in Nordkurdistan (Türkei) hat auf Kurmancî eine Wiederbelebung erfahren. Es entwickelte sich eine neue Generation der modernen und schönen Literatur. Gleichzeitig hat sich in Südkurdistan (Irak) und in Ostkurdistan (Iran) die kurdische Literatur auf „Soranî“ mit großen Schritten entwickelt. Auch die Kurden der ehemaligen Sowjetunion und Armeniens haben das kurdische–lateinische Alphabet benutzt.
10- Welche Rolle spielt das Exil für die literarische Entwicklung?
Weil die kurdische Sprache in Kurdistan verboten war, hat das Exil in der Geschichte der kurdischen Literatur eine große Rolle gespielt. Die erste kurdische Zeitung ist 1898 in Kairo in Ägypten erschienen. Der erste Roman von Erebê Shemo ist in Armenien 1935 erschienen. Die erste Kurzgeschichte ist 1913 in Istanbul erschienen. Die wichtigste Zeitschrift für die kurdische Sprache und Literatur “Hawar” ist 1932 in Damaskus erschienen. Es ist klar, dass alle wichtigen Entwicklungen in dem Bereich Literatur und Sprache außerhalb des kurdischen Gebiets, d.h. im Exil stattfanden. Das Exil ist die Mutter für die Kurdische Literatur.
11- Kurden schreiben auf verschieden Dialekten und auch Alphabet –arabisch und lateinisch- wie betrefft es die kurdische national Literatur?
Wir müssen unsere Realität akzeptieren. Wir haben bis heute keine eigene standardisierte nationale Sprache, wie Hochdeutsch zum Beispiel. Wir schreiben in verschiedenen Dialekten und mit zwei unterschiedlichen Alphabeten. Wir haben zurzeit keinen eigenen Staat, um das Problem lösen zu können.
12- Nach deiner Meinung, sollen die Kurden für eine Sprachenunion gehen, so dass sie eine Nationalliteratur erreichen, oder ist es besser die heutige Verschiedenheit, um einen größeren literarischen Reichtum zu haben? Was vorschlagen die kurdischen Intellektuellen?
Die Kurdischen Intellektuellen sind sich darüber nicht einig. Das ist für uns ein schwieriges Thema und jeder hat eine eigene Meinung. Ich denke dass unsere Nationalliteratur alle Werke umfasst, die in verschiedenen kurdischen Dialekten geschrieben worden sind. Wir kurdischen Schriftsteller können diese Realität nicht ändern. Es ist eine Frage der Macht. Im Grunde genommen kann man solche komplizierten Sprachprobleme ohne einen unabhängigen kurdischen Staat nicht lösen.
13- Die heutige Erfahrung in Südkurdistan mit der autonomischen Regierung, ist es positiv für die Kurdische Literatur allgemein? Denkst du, dass diese Regierung mehr tun kann/soll? Was noch?
Bedauerlicherweise ist die autonome Regierung mit ihren politischen und wirtschaftlichen Problemen beschäftigt und hat in diesem Bereich keine gute Politik durchgeführt. Sie versucht einen Dialekt “Soranî” als offizielle Sprache und ein Alphabet “Arabisches Alphabet” für Südkurdistan umzusetzen und die anderen Dialekte, wie den “Kurmancî”-Dialekt, der von der Mehrheit der Kurden gesprochen wird, zu verbieten.
Ich glaube, wir haben überall ein großes Problem mit der politischen Mentalität der kurdischen Politiker. Sie haben keine “literarischen” Projekte. Sie haben kein wirkliches Interesse an Literatur. In ihren Programmen gibt es keinen Platz für die Entwicklung der Literatur. Falls die Entwicklung der kurdischen Literatur doch einen Platz einnimt, dann lediglich im Interesse ihrer Partei, bzw. deren Angehöriger.
Von der Entwicklung der kurdischen Literatur in Südkurdistan, die es zweifellos gibt, haben leider nur sie selber profitiert und nicht die Literatur, bzw. die kurdischen Schriftsteller in den anderen Teilen Kurdistans.
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Aus dem persönlichen Archiv.
Dieses Interview wurde 2002 in Berlin für ein baskisches Kulturmagazin geführt